Rehabilitation der Sängerstimme
Unter „Rehabilitation der Sängerstimme“ wird eine künstlerisch-funktionelle Stimmübungsbehandlung nach phonochirurgischen Operationen verstanden, die Dr. Wohlt über einen Zeitraum von 15 Jahren speziell für die postoperative Stimmtherapie bei professionellen Sängern entwickelt hat.
Ziel ist es dabei, die vokalen Überdruckmuster der Stimme, die primär für das Entstehen von Stimmbandknötchen oder ähnlichen Veränderungen verantwortlich waren, in eine weitgehend vom Überdruck befreite Stimmfunktion zu überführen.
Diese Therapieform hat sich bei hunderten von operierten Berufssängern bewährt.
Aufgrund langjähriger Kontrollen bei seinen Patienten weiß Dr. Wohlt, dass gerade die Kombination aus optimaler Stimmchirugie und der „Rehabilitation der Sängerstimme“ zu hervorragenden stimmlichen Ergebnissen führt.
Nach der Operation kann mit der Therapie grundsätzlich erst nach einer zweiwöchigen Stimmruhephase und dem Reaktivieren der Sprechstimmfunktion begonnen werden. Die Stimmruhe unterstützt den Heilungsprozeß der feinen Stimmlippenschleimhaut und sollte ausreichend lang bemessen werden. Ein zu früher Stimmgebrauch könnte die Regenerationsprozesse empfindlich stören.
Die Dauer der „Rehabilitation der Sängerstimme“ hängt prinzipiell davon ab, wie schnell der Sängerpatient auf die Übungstherapie anspricht. Im allgemeinen kann diese Zeit mit ungefähr 4 Wochen angegeben werden.
Rehabilitation der Sängerstimme bei Dr. Wohlt
Wichtig: Nur hochqualifizierte, erfahrene Therapeuten sollten professionelle Sänger rehabilitieren
Diese Form der postoperativen Übungsbehandlung sollte nur von ausgewiesenen Gesangstherapeuten, die sowohl über eine mehrjährige Gesangsausbildung als auch über eine therapeutische Ausbildung verfügen, durchgeführt werden.
Darüber hinaus muss der Therapeut über große Musikalität und ein feines, analytisches Gehör speziell für die Singstimmfunktion und ihre subtilen Störungsformen verfügen.
Dr. Gerrit Wohlt im Interview: Die Rehabilitation der Sängerstimme
Das internationale Opernmagazin ORPHEUS, das bereits seit 40 Jahren erscheint, hat in seiner Ausgabe Juli/August 2016 unter dem Titel: „Dr. Gerrit Wohlt – Stimmarzt der Stars, Folge 2: Die Rehabilitation der Sängerstimme“ ein ausführliches Interview mit Dr. Wohlt über diese besondere von ihm entwickelte Form der Stimmtherapie veröffentlicht.
Die Rehabilitation der Sängerstimme
Dr. Gerrit Wohlt gilt international als einer der renommiertesten Spezialisten bei Erkrankungen der Sängerstimme
und genießt als Stimmchirurg der Opern- und Popstars weltweite Anerkennung. Er lebt und arbeitet
in Berlin und Wien als Laryngologe und Phoniater in eigener Praxis, ist ausgebildeter Sänger mit Bühnenerfah-
rung und Gesangs-Coach einiger bekannter Sänger. Für den ORPHEUS spricht er mit Clauspeter Koscielny
in einer Reihe von Interviews über seine umfangreichen Erfahrungen im Bereich der Sängerstimme.
Herr Dr. Wohlt, in unserem letzten Interview haben wir ausführlich über die Operation der Sängerstimme gesprochen. Wenn nun ein Sänger von Ihnen operiert wurde, endet dann Ihre Arbeit oder schließt sich eine weitere Therapieform an?
Nach der Operation an den Stimmlippen folgt zunächst eine zweiwöchige Phase der Stimmruhe. In dieser Zeit vollzieht sich die Wundheilung der feinen Schleimhautschichten. Ein zu früher Gebrauch der Stimme würde diesen Vorgang stören und damit das klangliche Resultat beeinträchtigen. Danach wird zuerst die Sprechstimme über einen Zeitraum von circa einer Woche reaktiviert. Und erst daran schließt sich eine künstlerisch-funktionelle Stimmtherapie an, die ich als »Rehabilitation der Sängerstimme« bezeichne.
Was kann man sich unter dieser »Rehabilitation der Sängerstimme« vorstellen? Ich glaube, es handelt sich dabei um ein von Ihnen entwickeltes Therapiekonzept, nicht wahr?
Ich habe seit circa 15 Jahren eine spezifische Form der postoperativen Stimmübungsbehandlung für die Sängerstimme entwickelt. Dabei werden sowohl den speziellen Regenerationsvorgängen nach der Operation als auch den professionellen Anforderungen der Sängerstimme auf der Bühne besondere Beachtung geschenkt. Denn – und das muß man immer berücksichtigen: Es handelt sich bei der Sängerstimme um ein künstlerisches Hochleistungsinstrument. Und dieses bedarf sowohl einer exzellenten Phonochirurgie als auch einer erstklassigen Therapie nach der Operation.
Können Sie uns die Prinzipien Ihrer Vorgehensweise erläutern?
Nun, bei der »Rehabilitation der Sängerstimme« handelt es sich prinzipiell um ein System von Stimm- und Klangübungen, die in sehr individueller Weise auf den jeweiligen Sängerpatienten abgestimmt sind und seiner persönlichen Stimme Rechnung tragen. Darüberhinaus wird auf die in dieser Zeit ablaufenden Regenerationsvorgänge Rücksicht genommen. Ziel ist es dabei, die vokalen Druckmuster der Stimme in eine weitgehend vom Überdruck befreite Stimmgebung zu verwandeln.
Herr Dr. Wohlt, woher resultieren diese vokalen Druckmuster und wie lassen sie sich zukünftig vermeiden?
Wenn sich ein Sänger einer Operation an den Stimmbändern unterziehen muß, kann dies viele Gründe haben. Häufig liegt jedoch die Ursache in einer stimmlichen Überbelastung mit dem Entstehen von Stimmbandknötchen. Dabei mag die Überbelastung das Resultat einer Folge von Konzerten ohne ausreichende Ruhephasen zwischen den Auftritten gewesen sein, das heißt der Sänger hat einfach zuviel gesungen. Oder er mag über längere Zeit in zu dramatischer Weise seine Stimme benutzt haben bzw. in ein zu dramatisches Stimmfach gewechselt sein, welches seinem Instrument nicht entspricht. Ich sage immer zu meinen Sängern: »Wenn man eine schöne Geige besitzt, sollte man darauf nicht wie auf einem Cello spielen«. Wenn aber ein Sänger – aus welchem Grund auch immer – sogenannte Phonationsverdickungen entwickelt hat, verliert er die leichte Schlussfähigkeit seiner Stimmbänder und damit die Kontrolle über die feine stimmliche Nuancierungsfähigkeit, die weichen Stimmeinsätze und die Pianofunktion. Er wird also mit Überdruck singen müssen, um seine Stimmlippen zum Schließen zu bringen. Je mehr er aber mit Überdruck singt, umso größer werden die Verdickungen. Das Singen wird zunehmend anstrengender und der schöne Klang geht verloren. Am Ende dieses Teufelskreises steht meistens die Operation, bei welcher die Stimmbänder geglättet werden und die ursprüngliche Anatomie wiederhergestellt wird.
Und an diesem Punkt setzt dann Ihre Methode an, weil ja die Druckmuster mit der Operation nicht verschwunden sind, richtig?
Richtig. Die Operation kann nur die Anatomie korrigieren aber nicht die Funktion. Die Stimmfunktion ist im kinästhetischen Gedächtnis des Körpers gespeichert und der Sänger aktiviert seine Stimme, indem er seinem »inneren Klangsinn« folgt. Er weiß und fühlt bei jedem einzelnen Ton, mit welchem Luftdruck, welcher Spannung und welcher Kehlkopfeinstellung er seine Stimme betreibt. Nach der Operation muß er lernen, die Stimme mit weniger Druck und veränderter Spannung einzusetzen, da ja das anatomische Hindernis in Form der Stimmbandknötchen nun nicht mehr vorhanden ist.
Sie haben einmal gesagt, dass man hier wie bei einem Computer eine neue Software aufspielen muß.
Der Vergleich ist ziemlich treffend. Die vokalen Druckmuster sind im Körpergedächtnis gespeichert so wie die Software auf der Festplatte des Computers. Im Rahmen der Rehabilitation der Sängerstimme muß nun das Körpergedächtnis neu programmiert und wie die Festplatte des Computers mit einer neuen Software überspielt werden.
Herr Dr. Wohlt, wie gehen Sie nun in der Rehabilitation vor?
Wichtig ist, zu berücksichtigen, dass man zuerst das feine Ansprechen der Stimmfunktion, die Pianofunktion und damit die Schwingungsfähigkeit der Stimmlippenrandkante reaktivieren muß, bevor man sich mit der Stimme in ihrer ganzen Klangfülle befasst. Ich bevorzuge dabei die für die einzelnen Stimmregister begünstigenden Klang und Vokalkombinationen. Tut man dies nicht, ist der Weg in eine leichte Höhe und ein müheloses Singen meist deutlich erschwert. In der gemeinsamen Arbeit mit dem Sänger wird dann sehr individuell auf sein spezielles Repertoire Bezug genommen. Es ist mir an dieser Stelle wichtig, nochmals zu betonen, dass es sich bei der Rehabilitation der Sängerstimme nicht um eine Methode handelt. Methoden funktionieren immer nur bei einigen Schülern.
Es gibt ja die sogenannten »Gesangsschulen« mit ihren Methoden. Diese Schulen brachten immer nur wenige bekannte Sänger hervor, weil die Methode nicht immer individuell an den jeweiligen Schüler angepasst wurde. Bei der Rehabilitation der Sängerstimme hingegen handelt es sich um allgemeine, an hunderten von operierten Sängern erprobte Therapieprinzipien, die in Form von individuellen Übungen bei jedem Sängerpatienten variieren. Daher sollte der Therapeut auch über eine tiefgreifende musikalische Ausbildung verfügen, am Klavier improvisieren und den Sänger möglichst in allen Tonarten durch die Stimmübungen führen können. Vor allem aber sollte er über ein feines analytisches Gehör verfügen. Am Ende der Rehabilitation, die im allgemeinen vier Wochen dauert, steht der Künstler wieder auf der Bühne.
Wer sollte diese Art von Therapie durchführen? Gesangslehrer oder Logopäden?
Den geeigneten Therapeuten für diese hochspezifische Arbeit möchte ich keiner der beiden Gruppen direkt zuordnen. Es sollte jemand sein, der sich selbstverständlich in der gesangspädagogischen Arbeit bestens auskennt, sich aber andererseits als Therapeut versteht und vor allem in der Arbeit mit frisch operierten Sängern große Erfahrung erworben hat. Wissen Sie, als Gesangslehrer hat man selten therapeutisch gearbeitet, als Logopäde selten gesangspädagogisch. Hier ist eine kleine Gruppe von Gesangstherapeuten gefragt, die meistens ein Gesangsstudium und eine Therapeutenausbildung absolviert haben. Darüber hinaus sollten sie noch über viele Jahre mit einem Stimmchirurgen zusammengearbeitet haben, der auf die Operation von Sängern spezialisiert ist.
Sie rehabilitieren ja einige Ihrer operierten Sänger auch selbst.
Ich habe im Laufe der letzten 15 Jahre hunderte von professionellen Sängern operiert und danach rehabilitiert. Durch regelmäßige Kontrollen über Jahre bei meinen Patienten weiß ich, dass gerade die Kombination aus Phonochirurgie und Rehabilitation der Sängerstimme hervorragende Ergebnisse bringt, vorausgesetzt der Sänger korrigiert erfolgreich seine vokalen Druckmuster. Ja, die Arbeit am Klang der Sängerstimme betreibe ich mit großem Enthusiasmus. Leider reicht meine Zeit bei weitem nicht aus, alle von mir operierten Sänger auch zu rehabilitieren. Oft übergebe ich nach ein, zwei Therapiestunden den Patienten an erfahrene Therapeuten in meinem Team oder an externe Therapeuten, die seit Jahren mit mir zusammenarbeiten.
Rehabilitieren Sie auch Sänger, die extern operiert wurden?
Sänger, die nicht von mir operiert worden sind, rehabilitiere ich im allgemeinen auch nicht. Ich vertrete einen ganzheitlichen Ansatz und stelle höchste Ansprüche an das Klangergebnis. Daher möchte ich ganz genau wissen, in welcher Weise ein Sänger operiert und in welcher Weise der Eingriff vorgenommen wurde. Denn der Klang der Stimme nach Abschluß der Behandlung resultiert aus der Summe von Operation und Rehabilitation. Wenn ich aber nur für die Rehabilitation verantwortlich wäre, könnte möglicherweise das Gesamtergebnis trotz optimaler Funktionstherapie nicht so sein, dass es meinen Ansprüchen genügt. Daher rehabilitiere ich auch nur von mir persönlich operierte Sänger. Wissen Sie, wenn Sie Geigenbauer wären und eine Stradivari zu reparieren und zu stimmen hätten, würden Sie dann die Reparatur einem Fremden überlassen und nur die Stimmung vornehmen?
Für wie wichtig halten Sie die musikalisch-sängerische »Ausbildung« eines Stimmarztes bzw. Stimmchirurgen?
Nach meiner Auffassung sollte ein Stimmchirurg, der professionelle Sänger operiert, nicht nur Operateur sein, sondern über ein ganzheitliches Konzept zur Betreuung von professionellen Sängern verfügen. Darüberhinaus sollte er umfangreiche eigene sängerische Erfahrungen gemacht haben, ohne die er die Sängerstimme und ihre Störungen nicht ausreichend differenziert einzuschätzen in der Lage ist. Sich hier als betreuender Arzt weitgehend auf die »Meinung« von häufig wenig berufserfahrenen therapeutischen Mitarbeitern zu verlassen, erscheint mir für den erkrankten Künstler wenig vertrauenserweckend zu sein. Daher sollte der betroffene Sänger sorgsam prüfen, in wessen Hände er sich begibt.
Herr Dr. Wohlt, darf ich Sie noch um ein abschließendes Fazit bitten?
Der Sänger als Mittler zwischen den Ebenen der Inspiration und Expression bedarf wie kaum ein anderer einer klangvollen Stimme. Als Instrument von höchster Kostbarkeit wird sie ihm nur einmal im Leben geschenkt, aber mit der Auflage, sie zum Wohle aller zum Klingen zu bringen. Wenn dieses Geschenk droht, Schaden zu nehmen, ist der Künstler aufgerufen, alle ihm offen stehenden Wege zu sondieren, Mut zu sammeln und dann den für ihn besten Weg der Heilung zu beschreiten. Möge ihm dabei seine innere Stimme der beste Wegweiser sein.