Dr. Gerrit Wohlt im Interview: Stimmbandoperation bei Sängern – die wichtigen Fragen!
Das internationale Opernmagazin ORPHEUS, das bereits seit 40 Jahren erscheint, hat in seiner Ausgabe Juli/August 2016 unter dem Titel: „Dr. Gerrit Wohlt – Stimmarzt der Stars, Folge 3: Stimmbandoperation bei Sängern – die wichtigen Fragen !“ ein ausführliches Interview mit Dr. Wohlt über diese besondere von ihm entwickelte Form der Stimmtherapie veröffentlicht.
Stimmbandoperation bei Sängern - die wichtigen Fragen!
Dr. Gerrit Wohlt gilt international als einer der renommiertesten Spezialisten bei Erkrankungen der Sängerstimme
und genießt als Stimmchirurg der Opern- und Popstars weltweite Anerkennung. Er lebt und arbeitet
in Berlin und Wien als Laryngologe und Phoniater in eigener Praxis, ist ausgebildeter Sänger mit Bühnenerfah-
rung und Gesangs-Coach einiger bekannter Sänger. Für den ORPHEUS spricht er mit Clauspeter Koscielny
in einer Reihe von Interviews über seine umfangreichen Erfahrungen im Bereich der Sängerstimme.
Herr Dr. Wohlt, in unseren letzten beiden Interviews haben wir ausführlich über die Operation und Rehabilitation der Sängerstimme gesprochen. Heute würde ich gerne mit Ihnen erörtern, welche wichtigen Fragen sich im Zusammenhang mit einer Stimmband OP ein betroffener Künstler stellen sollte?
Zunächst einmal muß man verstehen, dass die Entscheidung für eine Stimmbandoperation eine der schwersten im Sängerleben ist. Von ihr sind die weitere Karriere und damit die weitere Lebensplanung abhängig. Diese Entscheidung steht jedoch erst am Ende eines Erkenntnisprozesses, in welchem der Künstler langsam und stufenweise realisiert, dass er sich mit der veränderten Klangqualität seiner Stimme zunehmend weniger identifizieren kann. Auftritte und Konzerte vor Publikum werden daher immer häufiger abgesagt. Die Ursache für die verminderte Klangqualität sind dabei meistens organische Veränderungen der Stimmlippen wie z.B. Stimmbandknötchen oder Stimmbandödeme. Erst mit dem persönlichen Entschluß des Sängers, etwas verändern zu wollen und dies im Rahmen einer Stimmband OP zu realisieren, ist die erste und wichtigste Entscheidung auf dem Weg zu einer Verbesserung seiner Stimme getroffen.
Wie kann der Sänger sicher sein, dass der Befund seines Stimmorgans wirklich operationsbedürftig ist?
Damit stellt sich der Sänger gewissermaßen schon die zweite wichtige Frage, nämlich die nach der sogenannten Indikation. Ob die eingeschränkte Stimmqualität tatsächlich auf einer operationsbedürftigen Veränderung der Stimmlippen beruht, muß im Rahmen einer fachärztlichen Untersuchung geklärt werden. Dazu sollte möglichst eine Videostroboskopie bei einem in der Sängerbehandlung erfahrenen Stimmarzt durchgeführt werden. Nur durch detaillierte Kenntnis des Befundes können die weiteren notwendigen Schritte auf dem Weg zur OP erfolgen.
Kommen wir zur Frage nach dem richtigen Operateur. Wie kann ein Sänger sicher sein, den geeigneten Stimmarzt bzw. Stimmchirurgen gefunden zu haben ? Welche Empfehlungen können Sie da geben?
Die Frage nach dem richtigen Arzt ist sicherlich eine der entscheidenden Fragen überhaupt. Der Sänger sollte im Vorfeld umfangreiche Recherchen betreiben und ggf. auf die Empfehlungen bereits operierter Sänger hören. Grundsätzlich möchte ich aber betonen, dass ein Stimmchirurg, der professionelle Sänger operiert, eben nicht nur ein guter Operateur sein sollte. Vielmehr muß er über ein ganzheitliches Konzept zur Betreuung von professionellen Sängern verfügen. Von fast noch größerer Bedeutung sind jedoch ein tiefgreifendes Verständnis für die Sängerstimme und ein versierter Umgang mit dem Anforderungsprofil des Sängerberufs. Darüber hinaus sollte er umfangreiche eigene sängerische Erfahrungen gemacht haben, ohne die er die Sängerstimme und ihre Störungen nicht ausreichend differenziert einzuschätzen in der Lage ist.
Empfehlen Sie in diesem Zusammenhang auch „stimmklinische Einrichtungen?“
Nein, für die Operation von professionellen Sängern grundsätzlich nicht ! An einer universitären Stimmklinik herrscht meistens das Prinzip der geteilten Kompetenz. Das heißt, dass sowohl erfahrene als auch weniger erfahrene Ärzte, Logopäden und Gesangstherapeuten am Sängerpatienten tätig werden. Aufgrund der verschiedenen Teilkompetenzen geht die Ganzheitlichkeit und damit die große Linie in der Betreuung häufig verloren. Darüber hinaus stellt sich die Frage nach der Verantwortung. Wer ist hier für was verantwortlich ? Ähnlich ist es doch im Bauwesen. Wenn Sie mehrere verschiedene Firmen beim Bau eines Hauses beauftragen, wird bei Schwierigkeiten der Verantwortliche nur schwer zu ermitteln sein. Für mich muß der betreuende Stimmarzt sowohl die medizinisch-chirurgische als auch die künstlerische Kompetenz haben. Daher rate ich immer, nach einem spezialisierten Sängerarzt oder Sängerchirurgen Ausschau zu halten, der neben seiner erstklassigen operativen Expertise auch eine fundierte musikalische und sängerische Ausbildung haben sollte. Ärzte mit diesen Kompetenzen finden Sie höchst selten in klinischen Einrichtungen. Es gibt in Europa tatsächlich nur einige wenige auf Stimmchirurgie bei Sängern spezialisierte Ärzte. Der betroffene Künstler ist gut beraten, sich die Mühe zu machen, den geeigneten Spezialisten zu finden.
Herr Dr. Wohlt, können Sie bitte noch einmal ausführen, welchen Ärzten sich ein Sänger besser nicht anvertrauen sollte. Eine heikle Frage, ich weiß.
Zu warnen ist der Sänger insbesondere vor Ärzten, die ihm eine bessere Stimmqualität versprechen, als ihm vor Beginn der Stimmstörung jemals zur Verfügung stand oder die glauben, durch große chirurgische Fallzahlen auf sich aufmerksam machen zu müssen. Die Operation der Sängerstimme ist eine intime gestalterische Aufgabe, die minutiöses, geduldiges Arbeiten, Ruhe und eine innere Haltung erfordert, die mit lautstarken Bekundungen solcher Art nicht in Einklang zu bringen ist. Vorsicht ist auch bei solchen Ärzten geboten, die auf der Suche nach neuen Betätigungsfeldern die Sängermedizin für sich entdeckt haben, ohne über die erforderlichen medizinischen oder sängerischen Erfahrungen zu verfügen. Hier sollte der Sänger durch geeignete Fragen im Vorfeld genau prüfen, in wessen Hände er sich begibt.
Wenn aber der richtige Arzt gefunden wurde, welche Frage sollte sich der Sänger dann stellen?
Als nächstes sollte die Frage nach der optimalen Operationsmethode gestellt werden. Dabei müssen in erster Linie die chirurgische Vorgehensweise aber auch die Wahl der geeigneten Instrumente und der bestmöglichen Anästhesie ausgewählt werden. Der Stimmchirurg trägt die Verantwortung dafür, dem Sänger eine möglichst schonende, risikoarme Methode vorzuschlagen.
Können Sie uns vielleicht zunächst Ihre Methode schildern und dann ggf. vor möglichen Risiken warnen?
Ich habe über die letzten 15 Jahre eine besondere Form der Klangchirurgie entwickelt und speziell für die Sängerstimme modifiziert. Es ist eine Art plastisch-rekonstruktive Arbeit zur Wiederherstellung der feinen Stimmbandschwingungen. Dies ist später das entscheidende Kriterium für eine weiche, nuancenreiche Stimme. Diese Methode ist eine Art persönliche Handschrift, die ich bei hunderten von Sängern angewandt habe. Durch jahrelange Nachkontrollen bei meinen Patienten weiß ich, dass diese Methode langfristig exzellente Stimmergebnisse bringt. Meine Patienten operiere ich grundsätzlich in Vollnarkose, denn nur so ist eine Mikropräparation an den Stimmlippen mit beiden Händen möglich. Zu warnen ist der Sänger vor der sogenannten „indirekten Methode“, die am wachen Patienten unter Lokalbetäubung im Untersuchungsstuhl durchgeführt wird. Dabei wird ein gebogenes Zängelchen durch den Mund des Patienten bis zu den Stimmlippen vorgeschoben und das erkrankte Gewebe vom Stimmlippenkörper abgezogen bzw. abgerissen. Das Risiko, dabei auch gesunde Stimmlippenschleimhaut zu verletzen und so irreversible Stimmstörungen zu verursachen, ist gerade in Anbetracht möglicher Kopfbewegungen des Patienten nicht unerheblich. Des Weiteren muß dem Sänger von der Anwendung des Lasers während der Operation dringend abgeraten werden. Die Wärmeenergie des Lasers, der praktisch als „heißes Messer“ eingesetzt wird, kann an den feinen Schleimhautschichten der Stimmlippen schwere Brandverletzungen hinterlassen. Die Folge sind irreversible, narbige Veränderungen des Stimmlippengewebes. Da Narbengewebe nicht schwingungsfähig ist, resultiert daraus eine zuweilen erhebliche Stimmstörung.
Welche Fragen sind nun nach der – hoffentlich erfolgreichen - Stimmband OP zu stellen?
Wichtig ist zunächst die Frage nach der postoperativen Behandlung. Hier rate ich dem Sänger immer zu einer Stimmruhephase für mindestens 10 bis 14 Tage. Während dieser Zeit sollte er sich auch einer spezifischen medikamentösen Therapie unterziehen. Nach Abschluß der Wundheilung – und damit schließt sich die vorletzte Frage an – sollte der Künstler eine Rehabilitation der Sängerstimme absolvieren, um die funktionellen Druckmuster seiner Stimme zu korrigieren.
Der Rehabilitation der Sängerstimme - einem von Ihnen entwickelten Therapiekonzept - haben wir ja unser letztes Interview gewidmet. Lassen Sie uns daher zur nächsten Frage kommen?
Der Sänger wird sich letztlich fragen müssen, welche persönlichen Konsequenzen er aus der Stimmbandoperation ziehen möchte, um ein ähnliches Szenario zukünftig zu vermeiden. Häufig empfiehlt sich an dieser Stelle eine Anpassung des Repertoires und der Verzicht auf bestimmte zu dramatische oder zu unbequem liegende Opernpartien. Ich habe häufig mit betroffenen Sängern - in Absprache mit Agenten und Gesangspädagogen - solche Repertoire-Analysen durchgeführt.
Herr Dr. Wohlt, Sie haben einmal gesagt, eine Sänger-OP sei ein künstlerisches Projekt. Darf ich Sie diesbezüglich für heute um ein Fazit bitten.
Die Operation eines Sängers ist für mich persönlich immer eine künstlerische Handlung, denn der Stimmchirurg greift gestalterisch und klangschöpferisch in das Instrument des Sängers ein. Diese Arbeit, die im Grunde genommen auch nur ein Künstler wirklich vollbringen kann, sollte von hoher Verantwortung und dem tiefen Wunsch getragen sein, für den Sänger etwas Großartiges zu kreieren. Es steht zu hoffen, dass – dem Gesetz der Resonanz folgend – jeder Künstler seinen Künstlerarzt finden möge.